Ein Gastartikel von Simon und eine Replike auf Dirk’s Artikel:
Die deutsche Turnierszene ist noch vergleichsweise groß, noch vergleichsweise bunt gemischt und noch vergleichsweise alt. Wir spielen schließlich ein Spiel, das relativ viel Startkapital voraussetzt – und das für eine Beschäftigung, die sich zumindest nach der Vorstellung der Herstellerin vornehmlich an Kinder richten soll.
Die deutsche Turnierszene ist auch nicht im Ansatz deckungsgleich mit der Spielerszene in Deutschland. Auch diese Unterstellung ist keinerlei Hexenwerk, sondern ein Phänomen, das sich bei jedem Hobby und jeder Sportart feststellen lässt. Der Schritt vom Hobby zum Turnierspiel verlangt vom Spieler eine gewisse Professionalität. Man muss sich richtiggehend hingeben, um mit Anderen auf kompetitiver Ebene mithalten zu können und dabei noch ein Fünkchen Spaß zu empfinden. Spaß, auch das sollte eigentlich selbstverständlich sein, ist Sinn und Zweck all der Nerdveranstaltungen, denen wir uns in Liebe und Aufopferung des letzten Rests Freizeit, der neben Beruf, Studium, Familie und all dem lästigen Restleben noch bleibt, entledigen.
Warum soll man dann also anfangen, Turniere mit Beschränkungen zu reglementieren? Das birgt ja die Gefahr, man könnte beim Spielen gar keinen Spaß mehr empfinden, wenn alles so tot geregelt ist…
Ich würde empfehlen, das Spiel, das wir spielen, mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Warhammer 40K wartet wie fast alle detaillierteren Miniaturenspiele mit einem grandiosen Berg an Regeln auf. Vielbesungene, neue Spiele wie X-Wing und Warmachine halten fast noch mehr Regeln als dieses bereit – sie werden nur in schicken, knappen Einheitenkärtchen verpackt und suggerieren Kürze. Dafür muss ich mindestens 50 davon auswendig können, um eine Fraktion einigermaßen spielerisch zu beherrschen.
Wenn ich meiner Freundin oder meinen Bekannten das Grundregelbuch in seiner Hardcover-Version unter die Nase halte, dann ernte ich zuerst einmal ein Stöhnen. Wie kann ein Spiel mit so vielen Regeln nur Spaß machen? Diese Frage irritiert mich dann doch sehr. Man könnte mir unterstellen, ich mag Regeln, möglichst viele Regeln, ich bin ja schließlich Jurist. Daran liegt es sicher nicht – ein möglichst schlankes Regelkorsett macht jeden Lebensbereich, sei es nun das Spiel oder die dunkle Realität, alltagstauglicher.
Allerdings: Auch unsere Umwelt, unser Alltag, folgt einem ganzen Haufen vor Regeln mit dem Zweck eines flüssigen, möglichst problemlosen Ablaufs. Regeln in einem Spiel haben den gleichen Sinn: Mach das Spiel möglichst flüssig und biete dabei so viele verschiedene Facetten wie es geht. Bei Regeln gilt also die ultima-ratio-Maxime: So wenig wie möglich, aber so viel wie nötig.
Wenn mein Spiel schon so viele Regeln hat, warum dann noch mehr machen? Die Antwort habe ich gerade versucht zu geben. Ein Spiel macht nur dann Spaß, wenn es glatt und flüssig funktioniert und dabei niemanden ausschließt. Keiner mag gern ein Spiel spielen, Stunden und Aberstunden mit Malen, Basteln und Turniervorbereitung – geschweige denn Sprit und Nerven für den Stau am Spieltag – verschwenden, um dann Turnier um Turnier mit der grundsätzlich unspielbaren Armee abgewatscht zu werden. Wenn man dann feststellt, das aktuelle Armeekonzept funktioniert nicht (mehr) und man setzt sich zuhause wieder hin und entwickelt eine neue Armee, ist diese dank dem nächsten Release wiederum nicht spielbar. Dieser Kreis dreht sich bis ultimo.
Aktuell stellt GW im Gegensatz zu nun schon vielen Jahren zuvor kein einheitliches, vom Blatt spielbares Gesamtkonzept mehr, das auch nur ansatzweise geeignet wäre, dem Aberwitz der Turnierkreativität gerecht zu werden. GW hat dies zwar noch nie versucht, jedoch hatte dies eine ganze Weile intuitiv funktioniert. Dies könnte unter Anderem daran liegen, dass über eine lange Zeit hin keine fundamentalen Eingriffe in Grundspielmechanismen mehr vorgenommen worden waren. Spätestens mit der vorliegenden Edition wurden Mechanismen ins Spiel integriert, die nicht nur für Konservative und Traditionalisten, keinen Platz mehr finden, sondern die einen enthusiastischen Hobbyisten mit Staunen zurücklassen. Wozu bemale ich meine Miniaturen liebevoll, wenn sie eh nur eine Runde auf dem Tisch stehen? Da ärgert man sich endlos, wenn dann mal 150 imperiale Soldaten auf dem Programm stehen. Die braucht ja eh keiner mehr.
Anstatt sich mit dieser Situation abzufinden, könnten wir als Turnierszene versuchen, selbst eine Lösung für solche Probleme zu finden. Die Hände in den Schoß legen und sich darauf zurückziehen, dass Nachbesserung unmöglich ist, führt nur zu Schadensersatzansprüchen – nein, Scherz beiseite, wer aufgibt, hat schon verloren und konzediert, dass die Turnierszene nicht überleben wird. Nach acht Jahren habe ich keine Lust, das Turnierspielen aufzugeben, aber irgendwann ist auch mir meine Freizeit zu schade.
Um diesem Problem Herr zu werden brauchen wir eine gemeinschaftliche Lösung. Hier muss ich Dirk beipflichten: Lokale Korrekturen und Beschränkungssysteme sind nicht der Weg der Wahl. Lange gingen solche Modifikationen gut – solange man als ‚kleine Lokalorga‘ noch einigermaßen den Überblick über alle Regeln und ihre Konsequenzen behalten konnte. Auch dieser Zug ist schon abgefahren. Viele Orgas reagieren, und das meines Erachtens verständlich, auch uns in Konstanz ging es beim Entwerfen unseres Beschränkungssystems nicht anders, mit absolutem Defätismus. Was der Bauer nicht kennt, wird verboten. Wieder keine hübsche Lösung des Problems. Alternativ werden Beschränkungen ins Ermessen der Orga gestellt, frei nach ‚Sei kein Arsch‘. Das ist die Willkürherrschaft des eigenen Geschmacks, üblicherweise der eigenen Armee im Keller.
Vielmehr sollten wir ein deutschlandweites System der Reglementierung anstreben. Das Grundmann-FAQ und das T-System halte ich für einen guten, wenn auch nicht perfekten Schritt in die richtige Richtung. Ich denke, wir müssten die Einrichtung eines globalen Beschränkungssystems weiter verfolgen und am besten gemeinsam zu einer Lösung kommen. Organisatorisch kann das beispielsweise durch Online-Votings zu Fassung gewisser Beschränkungsregeln realisiert werden. Darüber hinaus könnten wir – vielleicht über T³ oder 40Kings – ein Diskussionsforum für Beschränkungsfragen einrichten, über das sich Organisatoren und Spieler wechselseitig austauschen und beharken können.
Hierbei können wir vom Fantasy-Turnierwesen lernen (nicht, was die Teilnehmerzahl angeht; die hängt noch mehr als im Rahmen von 40K an heftigen Einschnitten in Grundmechanismen des Spiels). Dort haben sich einige wenige Beschränkungsmodule weitgehend durchgesetzt, man denke nur an Combat oder Horus.
Mit dieser Streitschrift werfe ich meinen Hut für eine gemeinsame Turnierlandschaft in den Ring. Anstatt aufzugeben und 40K seinem Schicksal zu überlassen, schlage ich vor: Packen wir gemeinsam die Sisyphos-Aufgabe an, GWs Regelberg abzutragen.