Die ganze Warhammer 40k-Republik guckt in diesen Tagen gebannt auf ein kleines Städtchen im Südosten des Landes. In Regensburg startet die diesjährige 40k Turnier-Saison standesgemäß mit einem der größten, wenn nicht dem größten, Turnier des Jahres. Ich selber bin ein erklärter Fan dieses Turniers. Alle Organisatoren sind freundlich und bemüht, der Ablauf ist gut geplant, das Städtchen selber immer mal wieder einen Besuch wert und die Freude, alle alten Bekannten mal wieder auf einem Fleck versammelt zu haben natürlich auch groß…nur der Kellner kann einem da manchmal noch einen Strich durch die Rechnung machen.
Nur der Kellner? Nicht ganz. Denn die gesamte Warhammer 40k Republik guckt in diesen Tagen nicht nur auf das kleine Städtchen im Südosten des Landes, sondern starrt auch gebannt in die einschlägigen Foren und versucht zu erfahren, welche Art von 40k wohl in Regensburg gespielt werden wird.
Fragen über Fragen
Aber der Reihe nach: Wir befinden uns am Anfang einer neuen Edition und obwohl das neue Regelwerk textlich und in Sachen Konsistenz einen Meilenstein darstellt und GW sogar in bisher nicht gekannter Geschwindigkeit mit neuen FAQs aufwartet, bleiben nach wie vor viele Feinheiten des Spielablaufs ungeklärt. Aber das stört eigentlich keinen großen Geist, oder? Jeder schafft es ja doch irgendwie, die Partien mit Freunden und Bekannten und auf kleineren Turnieren relativ ungestört von theoretischen Diskussionen über die Bühne zu bringen. Warum also Ärger suchen, wo keiner ist?
Ich denke, dass wir in Regensburg – und in der aktuellen Phase der Vorbereitung auf das Turnier – auf ein Phänomen gestoßen sind, das uns nicht wieder in Ruhe lassen wird, bis wir es ausräumen. Und wir kennen das Problem allesamt nur zu gut: Kommen viele (ambitionierte) Spieler auf einem Turnier zusammen und ist nur der Druck entsprechend groß (ETC Quali, Prestige, usw…), werden die regional noch deutlich unterschiedlichen Lesarten der Regelfeinheiten hart aufeinanderprallen. Das war zu Beginn der vierten Edition der Fall, es war zu Beginn der fünften Edition so und, Überraschung, es ist auch heute wieder ein Thema. Und man sollte nicht glauben, wie viele ungereimte Kleinigkeiten trotz der von mir Eingangs gelobten Stringenz des Regelwerkes doch noch auftauchen und wie wichtig diese für manche Armeen tatsächlich sein können. Die Organisatoren des Ratisbona erleben aktuell, was das für sie bedeutet: Forenstudium, PMs, Emails und die dauerhafte Beschäftigung mit diversen, aus ihrer Sicht sogar möglicherweise völlig nichtigen, Regel-Fragen. FJ als Judge in Regensburg ist derzeit nicht zu beneiden.
Jeder Spieler hat allerdings häufig ganz eigene Fragen, die ihn umtreiben. Kaum zwei Fragen im Forum gleichen einander. Meistens haben diese Fragen mit der eigenen Armee oder den gegnerischen Streitkräften zu tun, gegen die man häufig spielt. Sie sind geboren aus Spielsituationen in denen sie aufgetaucht sind und häufig nicht durch einfaches Studium der einschlägigen Literatur zu klären. Aus dieser Sicht sind viele Fragen schon weit weniger nichtig und nur noch selten akademisch oder spielerisch belanglos. Sie haben zumeist einen sehr persönlichen Hintergrund und sind für das Gelingen des eigenen Spielplans oft von großer Bedeutung. Und wenn ein knappes Spiel auf der Kippe steht ist auch in der heimischen Garage enscheidend, dass beide Parteien nach demselben Set von Handlungsbeschränkungen agieren. Geht einer völlig selbstverständlich von A aus und der andere ebenso sicher von B und kommt dieses Missverhältnis erst heraus, wenn es um die Wurst geht, ist der Abend schnell gelaufen…Die halbwegs gütige Regelung hat dann immer den faden Beigeschmack einer Parteinahme. Sie kann in einer solchen Situation gar nicht objektiv ausfallen. Natürlich kommen wir alle in unseren Spielen trotzdem gut klar und können uns ja doch irgendwie immer einigen, aber wäre es nicht einfacher, wenn wir das gar nicht müssten?
Das Verhältnis von Regeln und Spielfreude
Einheitliche Regeln sind eben viel entscheidender für die Spielfreude, als viele von vornherein annehmen. Regeln sind eben nur solange unwichtig, wie sie immer so gespielt werden, wie man es selber gewohnt ist. Ändert sich die Lesart und spielt der Gegner auch noch unbewusst nach dieser “anderen” Lesart und “trickst” einen dadurch aus, kräuseln sich die Fußnägel. Was einer der Gründe dafür ist, dass die ETC-FAQs regelmäßig epische Breiten annehmen: Die Captains wissen, dass die gemeinsame Grundlage das wichtigste Kriterium ist, nicht die einzelne Regelentscheidug nach A oder B. Wer “recht” hat ist letztlich unwichtig, man muss es nur vorher wissen und sein Spiel darauf einstellen können. Ich denke, in der Breite geht es den meisten Spielern auch genau so: Wichtig ist, dass entschieden wird, bevor das Spiel die Situation herstellt, in der unter unangenehmen Bedingungen entschieden werden muss. Denn diese Situation ist es, und eigentlich auch nur diese, die Spiele hin und an entgleiten lässt…
Genau dieses ungute Gefühl, diese Angst vor der Situation am Tisch, die über Sieg oder Niederlage entscheided und die anschließende “werft-einen-Würfel” Auslegung des Judges ist es dann auch, die die vorbauenden Spieler in die Foren treibt und die Email Accounts heißlaufen lässt. Wir suchen aktuell diese gemeinsame Grundlage, die die Basis eines jeden spannenden, freundlichen und taktisch anspruchsvollen 40k-Spiels ist. Sogar wer meint, sie schon lange gefunden zu haben, wird auf einem Turnier mit 100 Spielern schnell merken, wie klein doch der eigene Kreis der Wahrnehmung von richtig und falsch ist. Deswegen müsste man die aktiven Forenschreiber eigentlich begrüßen: Sie sehen so aus, als würden sie rechthaberisch noch das kleinste Detail klären wollen und Vorteile für die eigene Liste herausschlagen, dabei sind sie eigentlich auf der Suche nach dem echten Spielspaß. Sie wollen sich das Turnier nicht durch Unsicherheiten vermiesen lassen. Wer also heute auf diese Leute schimpft und morgen auf den Judge in Regensburg, der ihm “das Spiel versaut” hat, der hat mit zweierlei Maß gemessen. Und wir befinden uns aus meiner Sicht noch viel zu häufig in der Situation, dass gerade unter den ambitionierten Turnierspielern Regelauslegungen immer mit Hintergedanken interpretiert werden. Jeder möchte vermeiden, vom anderen durch Regeltricksereien über den Tisch gezogen zu werden. Da es allen so geht, aber keiner die absolute Wahrheit gepachtet hat, entsteht eine Situation, die Spieltheoretiker an das Gefangenendilemma erinnern könnte.
Auf Seite 30 im Forum…
Dummerweise gibt es aber sicherlich auch eine ganze Reihe von Teilnehmern in Regensburg, die gar keinen Zugang zu GWFW oder sonst einem Medium haben, sich nicht darum scheren, was andere sagen und sowieso als Hobbyspieler nur mal vorbeigucken wollten. Sie haben wahrscheinlich überhaupt keine Hintergedanken bei Regelauslegungen und man sollte sich wundern, wenn sie auch nur die Hälfte der Probleme kennen würden, die in den Foren gehandelt werden. Zu wünschen ist es ihnen sicher nicht. Aber auch diese Spieler leiden unter dem gleichen Problem: Sie fahren auf ein Turnier und haben bestimmt schon schreckliche Geschichten über “Progamer” gehört und wie sie alle die Noobs verarschen. Und zwar nach Strich und Faden! Dabei ist auch in dieser Situation in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle kein Beteiligter mit böser Absicht unterwegs. Ein Spieler spielt schlicht ein anderes 40k als der andere. Die gemeinsame geteilte Regelbasis ist zu klein, um ein reibungsloses Spiel zu ermöglichen. An dieser Stelle fangen dann persönlichere Auseinandersetzungen an, als sie 40k gutun: Häufig habe ich Gegnern erklärt, dass ich in der fünften Edition sehr wohl “2 Zoll plus Base” aus einem Fahrzeug aussteigen durfte und eben nicht nur “2 Zoll steht aber im Regelbuch”. Und wie häufig hatte ich danach meinen Ruf weg. Ich spiele aber nach diesen Regeln und bewege meine Einheiten so, wie sie in Verbindung mit dieser Regel sinnvoll stehen. Auch wenn dieser Fall nun wenig FAQ-tauglich ist und hier nur ein verdeutlichendes Beispiel und keine allgemeine Einschätzung über die Regelfestigkeit von Hobbyspielern ist, versteht doch sicher jeder das Problem. Kommt eine Spielsituation zu Stande, in der die obigen zwischenmenschlichen Abläufe stattfinden, macht das Spiel danach häufig kaum noch Spaß. Und vor dieser Situation sind letztlich alle gleich: Ambitionierte Forenschreiber ärgern sich über unterschiedliche Regelauslegungen, Hobbyisten ärgern sich vielleicht eher über die überaus exakte Anwendung der Regeln, der Einfluss auf das Spiel ist identisch. Identisch schlecht.
Nicht ausschließen möchte ich außerdem, dass eine möglicherweise überschaubare, aber dennoch nicht zu verachtende Gruppe an durchaus ambitionierten und regelfesten Spielern existiert, die ihren Tag eben nicht mit dem Studium von 30-seitigen Diskussionen in Foren verbringen, um auf das nächste Turnier regeltechnisch vorbereitet zu sein. Obwohl ich eine gewisse Online-Präsenz in Sachen 40k nicht leugnen kann, gehöre ich z.B. ganz sicher zu dieser Gruppe. Diese Spieler fahren auf ein Turnier in der guten Gewissheit, wenige regeltechnische Überraschungen zu erleben. Manchmal kommt man als ein solch “passiver” Teilnehmer vielleicht sogar noch dahinter, dass in einem bestimmten Forum in einem bestimmten Thread auf einer bestimmten Seite ein bestimmter Absatz steht, der die eigene Armeeliste ad absurdum führt. Manchmal vielleicht aber auch nicht. Kann ein Turnierveranstalter von seinem Teilnehmerkreis erwarten, dass sie diese eine Seite gefunden haben müssen und kann andererseits ein Gegner am Spieltisch darauf pochen, dass das ja “so im Forum steht”? Die Antwort ist mit Sicherheit nein.
Einer für Alle
Die Organisatoren von Ratisbona haben sich wohl ähnliches gedacht und aus diesem Grund eine Zusammenfassung verschiedener, aber bei weitem nicht aller, diskutierter und höchstrichterlich entschiedener Probleme im T3 Profil ihres Turniers verlinkt. Das ist aller Ehren wert, wurde aber auch erst vorgestern (und damit vier Tage vor dem endgültigen Listenabgabe-Termin) eingestellt. Und wie es in dieser Situation häufig so ist, beruht die Auslegung und auch die Konsistenz der Antworten auf dem mit Recht beschränkten zeitlichen Konto eines, im besten Fall mehrer, Judges, die wohl ebenso wie ich nicht in lieben langen Tag im Forum verbringen. Welche neuen Probleme durch gutgemeinte (und das meine ich absolut ernst!) Regelungen provoziert werden, ist sicherlich nicht in der Hauptsache beachtet worden. Ein Beispiel?
F: Darf Coteaz aus der Chimäre seine Sonderfähigkeit “Ich habe dich erwartet” nutzen?
A: Ja.
F: Kann Anrakyr seine Fähigkeit aus seiner Kommandobarke aus nutzen?
A: Nein.
Völlig unabhängig von allen guten Begründungen für diese Auslegungen wird doch deutlich, dass auch ein einzelner Judge eine einzelne Meinung vertritt und damit den gleichen Verwerfungen unterliegt, die ich oben mit “meinem” und “deinem” 40k beschrieben habe. In diesem Fall hilft uns FJ natürlich durch seine gute Arbeit und seinen Einsatz, die Basis unseres gemeinsamen Regelverständnisses für Regensburg zu verbreitern. Wie gesagt, letztlich ist die einzelne Regel egal, entscheidend ist, dass sie für alle gilt und allen vorher bekannt ist. Trotzdem wird diese Basis nur in Regensburg helfen, den allgemeinen Spielspaß zu vergrößern. An dieser Stelle der Argumentationskette standen wir übrigens schon einmal. Damals wurde das “German Rules Council” gegründet.
Ich übertreibe sicher nicht wenn ich sage, dass der Einfluss des GRC gemesssen am Aufwand relativ übersichtlich geblieben ist. Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter auf die mannigfaltigen Probleme eingehen, die zu dieser Entwicklung geführt haben. Ich möchte vielmehr auf die von mir nun ausgiebig analysierte Struktur von Regelfragen hinweisen: Es ist nicht entscheidend, welche Regelauslegung sich durchsetzt, es ist vor allem entscheidend, dass es überhaupt eine gemeinsam geteilte Basis gibt, die für die Vermeidung allzu natürlicher zwischenmenschlicher Reaktionen sorgt. Und zwar eine an prominenter Stelle bekanntgemachte Basis, die für mehr als das nächste Wochenende Gültigkeit vermitteln kann. Das GRC versuchte, diese Legitimität aus einem demokratischen Prozess heraus zu generieren. Ich denke, dass ist nichtmal eine der grundsätzlichen Notwendigkeiten eines deutschen Turnier FAQs. Es ist mit diesen Arbeiten wie mit den meisten Gemeingütern: Der Ottonormalverbraucher möchte seinen Cheeseburger vor seinem Fernseher essen können. Und wenn das Fernsehprogramm schlecht ist, dann guckt er eben schlechtes Programm. Hauptsache Programm.
Es muss nicht demokratisch sein, es muss nur passieren!
Man muss sich nichts vormachen. Der große Aufruf in die Community, sich abendfüllend auf das beste FAQ für deutsche Turniere zu einigen, wird genau wie in der fünften Edition auch in der sechsten Edition scheitern. Alleine der zeitliche Rahmen, den die Erarbeitung des ETC-FAQs durch eine handvoll höchst ambitionierter Captains beansprucht, ist so groß, dass das FAQ wenn überhaupt nur knapp vor der Listenabgabe fertig wird. Dieser große Aufruf ist aber auch nicht notwendig. Notwendig ist ein Wiedererkennungswert von Regelungen über die Grenzen eines Wochenendes hinaus. Notwendig ist ein objektiver Streitschlichter für das Garagenspiel…Ich meine, wer heute für komplizierte Regelfragen noch die Mailorder anruft, der hat einfach zu viel Geld. Notwendig ist auch ein lebendiges FAQ, das auf sich neu entwickelnde Frage, neue Releases und die Klärungswünsche von Spielern schnell und unkompliziert eingehen kann. Um diese Bedingungen zu erfüllen, müssen bei Leibe nicht nach Regionalproporz ausgesuchte, mit der Turnierorganisation betraute und sich als Weltverbesserer verstehende Forenmitglieder an einen Tisch gebracht werden.
Wer ein Beispiel für die undemokratische aber wirkungsvolle – und vor allem dem Problem angemessene – Struktur eines solchen Vorgehens sucht, der sollte sich mit dem amerikanischen “INAT FAQ” oder der polnischen “Master-Series” auseinandersetzen. Keines der Systeme erhebt den Anspruch der letztgültigen Wahrheit oder der alleinigen Weisheit. Sie sind ein Angebot(!) an Spieler und Turnierveranstalter, mit dem sich schnell, unkompliziert und vor allem ohne große Opportunitätskosten wie Informationsbeschaffung oder Abstimmungen eine sehr breite, geteilte Basis des Regelverständnisses herstellen lässt. Jeder Veranstalter kann sein Turnier unter das jeweilige FAQ stellen und meinetwegen noch drei oder vier Ausnahmen vom FAQ definieren, die ihm selber nun ganz wichtig sind. Damit entfällt mit einem Download-Link eine GWFW-Diskussion von 30 Seiten und wachsend. Und der Frust derjenigen, die das richtige Forum zufällig nicht kannten. Und das ist es, worauf es ankommt. Ich wiederhole mich: Nicht die einzelne Regel ist wichtig. Auch nicht, wenn sie besonders toll für die eigene Armee wäre. Irgendwann wird man schon noch andere Armeen spielen. Die geteilte Basis ist wichtig.
Wo bleibt es also. Das deutsche Turnier FAQ.
Bildnachweise in chronologischer Abfolge:
Titelbild: Tony Hegewald / pixelio.de
Hilfe: Axel Hoffmann / pixelio.de
Handschlag: Helmut J. Salzer / pixelio.de